Dienstag, 15. Dezember 2015

Halbzeit bei der Jules Verne Trophy

Boris Herrmann berichtet über kurze, kalte Nächte im Süden und eine Vorfahrt-Situation mit Spindrift im Pazifik.
Francis Joyon am Steuer
Halbzeit: Gelegenheit für eine kurze Zwischenmeldung. Viel Zeit ist nicht, in 25 Minuten muss ich wieder an Deck stehen. Persönliche Mails zu beantworten schaffe ich bisher fast gar nicht.Die Zeit verfliegt hier an Bord angesichts des kurzweiligen Rythmus – es geht alles irre schnell:

Unsere Hauptbeschäftigung ist das Steuern und das macht meistens Spaß: Es variiert von extatischem Geschwindigkeitsrausch der ein Hochgefühl auslöst an den guten Tagen.

Es kann auch etwas eintönig sein, so wie im Südatlantik, im schlimmsten Fall ist es ein Kampf mit dem Ruder und verkrampfenden Unterarmen, wenn das Boot in der Welle ständig aus dem Gleichgewicht geworfen wird.

Manchmal ist es stark lee- oder luvgierig mit Turbulenzen an Foil oder Ruder. Stockfinstere Nächte, in denen die Instrumente vor den Augen anfangen zu tanzen und man das Gefühl hat, das Boot würde sich die ganze Zeit drehen, sind zum Glück selten. Die Nächte hier im Süden sind kurz, wenn auch absolut stockfinster.

Seit wir im Südatlantik die Südpolarfront passiert haben, ist es grau mit einem einzigen Sonnenstrahl gestern nahe Neuseeland. Noch eine gute Woche bis Kap Horn, dann machen wir alle mehrere Kreuze, auch wenn man sagen muss dass uns das Südmeer bisher gut verschont hat. Mal sehen, was diese Woche Südmeer bringen wird. Zwei Tiefs und dazwischen eine Am-Wind-Passage bei 20 Knoten stehen im Routing.

Bordroutine auf der IDEC SPORT
Aufwärmen in der Kanzel
Ich werde geweckt, ziehe meine Goretex-Socken über, setze mich kurz benommen auf unsere Bank gegenüber der Küche, esse einen Happen, dann geht es ins nasskalte Ölzeug an Deck in die Kanzel, dort Helm aufsetzen und zwei paar Handschuhe.

Wenn kein Manöver ansteht, kann man dort erstmal aufwachen, während man die Schoten bewacht. Es ist immer jemand in Griffweite der Schoten. Dann wechseln wir uns alle halbe Stunde am Ruder ab. Nach 4,5 Stunden an Deck geht es – wenn nicht gerade ein Manöver ansteht – wieder unter Deck.

Ich koche ein gefriergetrocknetes Essen, komme etwas runter vom Adrenalin beim Steuern oder dem hohen Puls beim Grinden, wecke den nächsten und gehe dann für maximal 2,5 Stunden in die Koje, manchmal bleibt nur eine Stunde übrig, wenn gerade bei Wachwechsel ein Reff ausgeschüttet wird.

Immer so fort.
Es hat bei mir in den ersten Tagen Beklemmungen ausgelöst, dieses Korsett der Zeit und des festgelegten Speiseplans mit wenig Auswahl. Mittlerweile hab ich mich gewöhnt.

Es hat zwei Wochen gedauert. Es ist einfacher, wenn man sich selbst quasi vergisst und hingibt. Es geht hier irgendwie nicht um einen selbst, man sagt sich einfach, man muss funktionieren und ein Gleichgewicht ohne starke Emotionen wahren.

Das schönste hier unten sind die Momente am Steuer, wenn das Boot gut läuft. Manchmal minutenlang über 40 Knoten, die Büge in die Luft gestreckt surfend. 43 Knoten war meine Bestmarke. Oder in unserer Kanzel zu sitzen und die Dünung zu beobachten, wie sie hinter uns herläuft und Albatrosse in ihr hin und her gleiten.

“Wir segeln wie fünf Einhandsegler”
Durch unseren Rhytmus stehen wir uns wenig auf den Füßen und segeln wie fünf Einhandsegler mit Francis, der ab und zu vorbeischaut. Man ist fast immer allein: allein in der Küche, allein in der Kanzel, allein an Deck; außer bei Manövern natürlich. Mit den meisten habe ich noch nicht viele Worte gewechselt, etwas mehr mit Clément, dem ich begegne, wenn wir uns die Koje in die Hand geben. Es ist wirklich shorthanded Segeln.

Zum Trimmen schalten wir den Autopilot ein und der Steuermann hilft am Grinder mit. Getrimmt wird aber nur bei erheblichen Änderungen des Windes oder der See, ansonsten haben wir an sich immer einen scheinbaren Windwinkel von 40 Grad und steuern dem scheinbaren Wind hinterher. So wie bei einer kleinen Yacht ständig nachzutrimmen wäre nicht nötig und auch nicht möglich. Das Vorsegel lässt sich unter Last nur zu zweit dichtholen und das nur im kleinsten von unseren 12 Gängen. Man dreht dann 102 mal den Grinder für eine Umdrehung der Winsch, also circa 50 Zentimeter Schot.

Bis Kap Horn wird das Eisthema wieder relevant. Vorhin hatten wir quasi eine Steuerbord-Backbord-Situation mit Spindrift, die zwei Meilen vor unserem Bug durchgegangen sind, was wir in dem diesigen Wetter nur auf AIS sehen konnten. Spindrift hat uns ein Gentlemen´s Agreement über eine Südgrenze vorgeschlagen. Gerüchten zufolge flippt Donna etwas aus.

30 Liter Diesel für die Heizung
Im Süden des Indischen Ozeans vor ein paar Tagen war es kalt. Ein Grad Wassertemperatur. Alles an Deck vereist. Wenn wir diskutieren, ob wir hier gerade heizen, ist mein Standpunkt: Es geht nicht um Komfort, sondern wir müssen unsere verbleibenden 30 Liter Diesel so einsetzen, dass wir den größten Schmerz vermeiden, denn die Kälte tut weh in den Füßen, auch mit drei Paar Socken.

Alles vergessen angesichts der sportlichen Situation, die uns positiv überrascht. Wer hätte das gedacht? Es wird langsam spannend, hoffentlich bleibt es das! Boris Herrmann.